Auf den Spuren der letzten Samurai.
Heute ist vermutlich für die meisten Arbeitnehmer überall in Japan ein ganz normaler Sommertag. In diesem Augenblick sitze ich in einer alten Tram in der Stadt Kumamoto. Die Straßenbahn hat bereits ein paar Stationen von der Haltestelle gegenüber dem Hotel letzter Nacht zurückgelegt. Bis zur Haltestelle in der Nähe der Burg Kumamoto sind es laut elektronischer Fahrplananzeige im Wagen nur noch wenige Stationen. An diesem heißen Morgen brennt bereits die Sonne vom blauen, wolkenlosen Himmel herab. Passanten sind kaum unterwegs und wenn doch, häufig mit aufgespanntem Sonnenschirm in der Hand. Andere Fußgänger schleichen von Schatten zu Schatten, den die Hochhäuser entlang der Straßen spenden. In der Straßenbahn läuft bereits die Klimaanlage und blubbert einen monotonen Takt. Auf der Fahrt studiere ich einen typischen Stadtplan für Touristen, mit allerlei Werbung, welcher in der Hotellobby auslag. Auf dem gefalteten Plan der Stadt Kumamoto ist das Areal um die Burg detailliert skizziert. Die fast 400 Jahre alte Burg Kumamoto gehört, unter den immer noch erhaltenen Bauwerken, zu den drei berühmtesten Burgen in ganz Japan.
Von der Haltestelle sind es ein paar Meter zu Fuß bis zur ersten Verteidigungsmauer. Diese Mauer reicht, mit ein paar wenigen Ausnahmen, noch immer um das gesamte Areal. Ab dort erhebt sich das dahinter liegende Gelände leicht, mit immer weiteren Verteidigungsmauern um den innersten Zirkel der Burg. Die hohen und massiven Steinmauern sind besonders steil erbaut. Aggressoren war ein Überwinden der Wände bis jetzt unmöglich. Im Volksmund werden diese Mauern auch Rattenabwehr genannt, da es selbst einer Ratte unmöglich sei diese Mauern zu erklimmen. Nicht weit vom Hauptturm schmiegt sich der Eingangsbereich samt Ticketschalter in einen schmalen Durchgang zwischen die Mauern. Aus der Nähe betrachtet wirken die ohnehin schon hohen Wände noch imposanter. Nicht nur Ratten auch extrem talentierte Ninjas würden hier scheitern. Das vollständig restaurierte Hauptgebäude dominiert den Hügel, auf dem der Bauherr den Komplex einst realisierte. Einige Nebengebäude der 1607 erbauten und 1877 durch ein Feuer während der Satsuma-Rebellion zerstörten Burg sind noch im Originalzustand erhalten.
„Der Legende nach pflanzte Katō Kiyomasa beim Bau der Burg eigenhändig einen Ginkgobaum. Der 400 Jahre alte Baum in der Burg trägt trotz der während der Satsuma-Rebellion erlittenen Verbrennungen wieder Früchte.“
Beim Schlendern durch die Anlage stelle ich mir das wilde Treiben der versammelten Samurai beim letzten bewaffneten Aufstand gegen das Kaiserreich vor. Der Aufstand wurde schlussendlich durch eine Übermacht der kaiserlichen Armee nach 52 Tagen niedergeschlagen. Inzwischen erreicht die Sonne zur Mittagszeit ihren Höchststand am Horizont. Selbst an diesem brütend heißen Tag stehen authentisch in Rüstungen verkleidete Angestellte der Burg den Besuchern als Fotomotiv zur Verfügung. Nachdem eine Besuchergruppe die schwitzenden Krieger reichlich fotografierten, verschwanden auch diese in den überdachten Gängen und schattenspendenden Gebäuden der Burg Kumamoto.
Faszinierend wirken die erhaltenen Gebäude mit ihren Dachkonstruktionen, die sich in der Form an typisch japanischen Pagoden orientieren. Graue Dachziegel mit Dachflächen, auf mehreren Ebenen, die sich an den äußeren Enden in Richtung Himmel biegen, wirken schon kathedralisch. Der alte Wohnturm, zugleich auch größtes Gebäude der Burg, birgt heute im Inneren ein Museum. Ein liebevoll gestaltetes Modell der damaligen Burg, furchteinflößende Hieb- und Schusswaffen und weitere Informationen runden das umfangreiche Angebot ab. Bis auf den Wohnturm sind alle Gebäude aus Holz erbaut. Generell ist die japanische Beziehung zu Holzböden ja sehr speziell. So darf jeder Gast vor dem Betreten des hölzernen Bodens seine Schuhe ausziehen. Als Gag reicht ein Mitarbeiter vor jeder schuhfreien Zone eine Tüte in der die Schuhe verstaut werden müssen. In den Räumen sind die zum Teil massiven Holzbalken des Tragwerkes deutlich sichtbar. Die nur aus Holz erbauten Türme erreichen trotz ihres Alters dennoch beachtliche Höhen. In einem der Räume, durch die mich ein Rundgang führte, wurden sogar ganze Baumstämme als Deckenbalken verbaut. Je nach Nutzung der Räume wechselt die Inneneinrichtung von funktionell bis originell.